Bundesfest Neuss 1955

Bundesfest in Neuss am 1. und 2. Oktober 1955

 

3. Bundesfest 1. und 2. Oktober 1955

Es war nach dem Zweiten Weltkrieg erst das dritte Bundesfest, das die historischen deutschen Schützenbruderschaften gemeinsam feierten. Und doch - darin waren sich die Kommentatoren später einig - war es die bis dahin kraftvollste Demonstration des Bruderschaftswesens. Nach Köln und Münster kamen die Historischen Schützen am 1. und 2. Oktober 1955 in Neuss zusammen, um einen Bundeskönig zu ermitteln.

Und die Historischen Schützen selbst waren höchst erstaunt von der Teilnahme der Neusser Bevölkerung, die in großer Zahl das Fest des Bundes verfolgte. Bund allerdings hieß der Zusammenschluß der Bruderschaften damals noch nicht, er trug den Namen Zentralverband. Die beiden höchsten Repräsentanten, die auch nach Neuss kamen, waren der Hochmeister Fürst zu Salm-Reifferscheidt-Dyck und der Generalpräses (heute Bundespräses) Dr. Peter Louis aus Leverkusen.

 

Bundeskönig aus Bonn

 

Pünktlich um 13.00 Uhr begann am 1. Oktober 1955 der Schießwettbewerb auf den Ständen der Neusser Scheibenschützen um die Würde von Diözesankönigen und des Bundeskönigs. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte der Leiter des Amtes für kölnisches Brauchtum, Dr. Joseph Klersch, dem Zentralverband der Bruderschaften den Vorschlag gemacht, einen Bundeskönig einzusetzen. Was in jeder einzelnen Schützenbruderschaft gelte, das solle auch auf Bundesebene der Fall sein. So kam der Plan auf, aus den Königen eines Jahres einen Bundeskönig zu küren. Die über 1.400 Könige in den einzelnen Bruderschaften sollten um die höchste Würde wetteifern. Da es die Zeit nicht erlaubte, daß alle Könige mitmachten, so überließ man den letzten Ausscheidungskampf den sogenannten Spitzenkönigen aus den Kreisen und Bezirken. Das waren aber auch noch etwa 100 Könige. Auf einen Vogel wurde - ebenso wie heute - beim Bundeskönigsschießen nicht angelegt. In Neuss wurde mit Kleinkaliber geschossen, im Programm hieß es dazu: auf Scheibe, 50 Meter, stehend. Dabei erwies sich Heinz Bauer aus Bonn als treffsicherster Schütze, der entsprechend gefeiert wurde. Zur grünen Schärpe und der prächtigen Kette des Bundeskönigs bekam er am Sonntag des Festes noch das goldene Abzeichen des Bundesmeisters. Zu den Ritualen eines Bundesfestes gehört nach dem Königsschießen auch die Übergabe der Bundesstandarte. Nachdem die Standarte ein Jahr in Münster aufbewahrt worden war, durfte sie nun für zwölf Monate in die Quirinusstadt. Vor dem Zeughaus übergab der Neusser Bürgermeister Schmitz, stellvertretend für Oberbürgermeister Alfons Frings, die von Bundeskanzler Konrad Adenauer gestiftete Standarte an den Bundesmeister des Bezirks Neuss, Ludwig Krekeler.

Wie sehr die Bruderschaften von Neuss begeistert waren, zeigt auch ein Blick in die Verbandszeitschrift der Bruderschaften aus dem Jahr 1955. Damals berichtete „Der Schützenbruder“: „Das III. Bundeskönigsschießen des Zentralverbandes der historischen deutschen Schützenbruderschaften in der alten rheinischen Schützenstadt Neuss berechtigte zu den besten Erwartungen. Die beiden Tage, 1. und 2. Oktober 1955, haben nicht enttäuscht. Die Gesamtfeier war wirklich ein Höhepunkt des Jahres. Die Kundgebung trug einen ganz anderen Charakter als in Köln und Münster. Die Übergabe des Bundesbanners an die Stadt Neuss vor dem Zeughaus und der festliche Marsch zu den Schießständen waren neue Momente. Schon hier, um die Mittagsstunde des Samstags, zeigte sich die freudige Beteiligung der Neusser Bevölkerung, die am 2. Tage, dem Sonntag, zu einer gewaltigen Sympathie-Kundgebung heranwuchs. Auf den Ständen der Neusser Scheibenschützen stieg die rechte Sportbegeisterung. Die Spitzenkönige konnten ihre Spannung nicht verbergen. Wiederum war ihre Zahl höher geworden. Langsam nähert sich die Beteiligung dem Ziel, daß einmal alle Bezirke mit ihrem Spitzenkönig antreten.

Der Zug des neuen Bundeskönigs, Heinz Bauer aus Bonn, zeigte wieder echte Neusser Schützenliebe. Die Straßen waren von winkenden und Beifall klatschenden Menschen besetzt. Reicher Flaggenschmuck überall. Der Festakt im Zeughaus erfolgte vor 500 eingeladenen Gästen des Zentralverbandes. Nicht nur der neue Bundeskönig wurde geehrt, sondern auch die fünf Diözesankönige. Der Festakt im Zeughaus war gleichzeitig auch der Willkommensgruß der Stadt Neuss an die Bruderschaftsschützen.

 

Hochmeister Fürst Salm-Reifferscheidt

Am Samstagabend hatte es zudem noch eine Feierstunde in einem Zelt gegeben, das eigens für das Bundesfest errichtet worden war. Dabei wandte sich Hochmeister Fürst Salm-Reifferscheidt an die Schützen, wobei seine Rede stark geprägt war von den Verhältnissen des Jahres 1955. Salm-Reifferscheidt erinnerte zunächst an die Vorfahren, die zum „Segen für die Gesamtheit“ tätig geworden seien, entweder bei der Verteidigung der Familien oder der Hilfe für den Nächsten bei der Pest. Salm-Reifferscheidt: „Wie jede Zeit ihre eigene Krankheit hat, so geht auch heute der schwarze Tod unter uns um, der schlimmer als damals, heute die Seele frißt und sie endgültig und ewigem Tode überantwortet. Nicht von ungefähr geht von uns Schützenbruderschaften der Ruf nach geistiger Wehrhaftigkeit aus, gegen Bolschewismus, Kommunismus, Materialismus und wie die Ismen alle heißen mögen.“ Es komme daher auf die geistige Haltung an: „Du sollst den Herrn, Deinen Gott lieben - und Deinen Nächsten wie Dich selbst.“ Die Tracht der Schützen sei ein Bekenntnis, ein Einstehen für Glaube, Sitte und Heimat. „Aus dieser selben geistigen Haltung heraus, ist unser Kanzler, auch ein Schützenbruder, wie wir mit Stolz sagen dürfen, in die Höhle des Löwen gegangen, wissend, daß es sein schwerster Gang sei.“ (Salm-Reifferscheidt meinte mit der Höhle des Löwen Moskau, das Adenauer 1955 besuchte. Dabei wurden weitere Kriegsgefangene aus russischer Gefangenschaft entlassen. Beide Länder nahmen diplomatische Beziehungen auf).


Dr. Flecken als Protektor

  Als Protektor des dritten Bundeskönigsschießens hatten die Bruderschaften eine Neusser Persönlichkeit gebeten. Es war Dr. Flecken. Daß er gleichzeitig auch noch Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen war, war für die Bruderschaft außerdem noch eine Ehre. Und so überbrachte Flecken nicht nur die Grüße der Landesregierung, sondern auch die Wünsche der Neusser Heimatfreunde, deren Vorsitzender er war. Außerdem hatte Flecken als Vizepräsident des Bürger-Schützen-Komitees auch noch die Grüße der Neusser Schützen im Gepäck. Als Protektor hatte er aber auch noch etwas anderes mitgebracht. Damals war es Brauch, daß der scheidende Bundeskönig vom Protektor der Stadt, in der das folgende Bundesfest veranstaltet wurde, eine Erinnerungskette bekam. Flecken überreichte die von ihm gestiftete Kette an den Vorjahresbundeskönig Josef Becker. Diese Kette zeigte auf einer Plakette den Neusser Stadtpatron Quirinus. Als Anhänger war das Neusser Stadtwappen hinzugefügt. Für die übrigen Schützen hatte der Minister aus Neuss noch eine besondere Überraschung parat: die zweite Strophe des Liedes „Neuss am Rhein - Die Stadt“: Und einmal in jeglichem Sommer/paradiert Dein Regiment/mit Mannen, Kanonen und Fahnen/und so, wie es niemand sonst kennt,/mit Jubel und Lachen und Freude/ und übermütigem Scherz/in Gleichklang pulsenden Schlages/aus einem einzigen Herz -/ So lebst Du in uns, Deinen Kindern,/ auf stetig erneuertem Blatt,/ mein Neuss, seit Urväter Tagen/als rheinisch fröhliche Stadt.


Dr. Franz-Josef Wuermeling

Als dritter Redner des Abends stellte sich Bundesfamilienminister Dr. Franz-Josef Wuermeling (CDU) vor. Wuermeling stellte sich nicht nur als Minister, sondern vor allem als Schützenbruder der Sebastianer aus Linz am Rhein vor. Den Mittelpunkt seiner Rede bildete die „Familie als Lebensquell der Schützenbruderschaften“, was er vor dem Hintergrund der damaligen Zeit interpretierte.

Joseph Kardinal Frings

Das größte Interesse der Neusser und der Schützen aus den zahlreichen Bruderschaften galt aber dem letzten Redner des Festabends. Wie begeistert er aufgenommen wurde, zeigt wieder ein Blick in die Verbandszeitschrift des Bundes „Der Schützenbruder“: „Als letzter Redner des Abends nahm darauf der Erzbischof von Köln, Kardinal Frings, der schon beim Betreten des von Schützen, aber auch von Neusser Landsleuten bis auf den letzten Platz besetzten Zeltes stürmisch begrüßt wurde, das Wort zu seiner mit großem Beifall aufgenommenen Ansprache. Es ist immer wieder ergreifend und beglückend zugleich, festzustellen, wie sich beim Auftreten unseres Kardinals in der Öffentlichkeit die gern gebotene Ehrerbietung vor dem Kirchenfürsten und die nur ungern gedämpften Ausdrucksformen der Liebe zum wahrhaft volkstümlichen Oberhirten (Pro hominibus constitutus lautet sein Wahlspruch) mühsam die Waage halten, bis schließlich doch die letztere siegt. So auch in Neuss bei der Begrüßung des Kardinals, nach seiner Ansprache und ganz besonders beim Verlassen des Zeltes, durch das ihn und die anderen Ehrengäste, den alten und den neuen Bundeskönig, eine von breiten Menschenmassen gebildete Straße wie eine Via triumphalis führte. Kardinal Frings führte aus, daß er der Einladung des Zentralverbandes mit besonderer Freude gefolgt sei. Zwar sei er nicht Schützenbruder, doch fühle er sich als gebürtiger Neusser  und als Oberhirte der Diözese dem Hochfeste eines großen Verbandes von Männern, die sich der geistigen Wehrhaftigkeit im Dienste der Katholischen Aktion verschrieben haben, eng verbunden.

 

Sonntag

Der eigentliche Festtag des Treffens war der Sonntag. Er stand im Zeichen einer Pontifikalmesse auf dem Münsterplatz. Dort überreichte Dechant und Domkapitular Dr. Liedmann die Königskette an den neuen Bundeskönig Heinz Bauer. Das Pontifikalamt wurde zelebriert von Bischof Cobben aus Finnland. Im Mittelpunkt der Festmesse stand neben der Proklamation des neuen Bundeskönigs eine Predigt von Generalpräses Dr. Peter Louis. Die Bruderschaften hatten den Sonntag einem Ereignis gewidmet, das 1000 Jahre zurücklag: die Schlacht auf dem Lechfeld bei Augsburg, als Otto der Große die Ungarn bezwang. Dieses Ereignis wurde damals als Rettung der abendländischen Christenheit gewertet. Louis machte deutlich, daß es darum auch heute, 1000 Jahre später, gehe. Er rief zu geistiger Wehrhaftigkeit auf, damit das Christentum letztlich obsiege über Materialismus, Marxismus und Bolschewismus. Insofern war das Neusser Bundesfest auch eine politische Demonstration. Denn die Bruderschaften, die sich jeglicher parteipolitischer Werbung und Aussage enthalten wollen, machten in Neuss ihre Ablehnung des kommunistischen Regimes deutlich, das sich auch im Osten Deutschlands, und damit tief nach Europa hinein, etabliert hatte. Das Neusser Fest war auch ein Werben um die Einheit Deutschlands. Denn wie sich vor 1000 Jahren bei der Lechfeld-Schlacht die deutschen Stämme einigten, so sollte es nach Ansicht der Redner des Neusser Bundesfestes auch jetzt wieder sein. Besonders deutlich machte das der Bürgermeister aus Augsburg, Dr. Martin, den die Bruderschaften nach Neuss eingeladen hatten: „Wir haben in Augsburg und überall, wo man der Lechfeldschlacht gedacht hat, nicht einen großen blutigen Sieg der Geschichte gefeiert, nicht die Erringung der deutschen Kaiserkrone, nicht einmal die Gründung oder Festigung des Reiches. Wir haben vielmehr die Erinnerung daran wachgerufen, welcher Segen erwachsen ist aus dem Einigwerden der Deutschen ...“

So war das dritte Bundesfest der historischen deutschen Bruderschaften eine machtvolle Demonstration von Gemeinschaftsgeist in schwieriger Zeit. Es war aber auch eine zutiefst politische Veranstaltung, weil den Schützenbrüdern auch ans Herz gelegt wurde, Stellung gegen Marxismus und Materialismus zu beziehen. Dies aber mußte damals den in Neuss versammelten Schützen nicht extra gesagt werden.

   
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